Unser Veranstaltungsort, das Kreuzberger Tagungswerk, war bis auf den letzten Platz gut gefüllt. Das Thema und seine Impulsgebenden zogen gleichermaßen in den Bann. Etwa 200 Gäste aus Kommunen von Brandenburg bis Nordrhein-Westfalen, aus dem Berliner Senat, der Wohnungs- und Finanzwirtschaft sowie aus Wissenschaft und Verbänden der kommunalen Familie sowie der Bundespolitik folgten den Keynotes und Diskussionsrunden aufmerksam und suchten in den Pausen den gegenseitigen Austausch. Dr. Peter Kurz, vhw-Verbandsratsvorsitzender mit langjähriger Erfahrung als Mannheimer Oberbürgermeister begrüßte die Teilnehmenden (Bild Mitte) und zeigte gleich am Beispiel der Immobilie Relaishaus, wo das Gemeinwohl derzeit noch ein Nachsehen hat.
Demokratie braucht handlungsfähige Kommunen, Dr. Peter Kurz
Editorial in der FWS 5/2024
Das Fragezeichen beim Verbandstagsthema erklärte unser erster Keynotespeaker Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio (Foto links) gleich zu Beginn augenzwinkernd für unzulässig. Denn Artikel 14 Absatz 2, Satz 1 setze an dieser Stelle einen Punkt. Also sei eigentlich alles gesagt ... In den ca. zehn Jahren seiner Arbeit als Kommunalbeschäftigter war er überzeugt, dass die Kommunen wirksame Instrumente an der Hand haben, um die Stadt am Gemeinwohl orientiert zu gestalten. Die in seiner 12-jährigen Tätigkeit als Verfassungsrichter in Karlsruhe erlebten Erfahrungen in der Rechtsanwendung zu diesem Thema haben sein Verständnis jedoch verändert. Artikel 14 strahle eine gewisse Ambivalenz aus, was im Rechts- und im kommunalen Alltag spürbar sei, aber nicht zu Blockaden führen dürfe. Im Text von Artikel 14 stehe, dass das Eigentumsrecht gewährleistet werde. Da höre der Verfassungsinterpret ein Grundrecht für gewährleistet - nicht gewährt - heraus, sozusagen ein angeborenes Menschenrecht. Danach folgen Relativierungen. Eine davon eine Art Gebrauchserläuterung "soll zugleich zum Wohl der Allgemeinheit dienen". Dieser Passus gelte eigentlich für alle Grundrechte, so Di Fabio. Es schloss sich ein Diskurs zu rechtlichen Herausforderungen für gestaltende Innenentwicklung an, der im Fazit feststellte, dass das Instrumentarium der Kommunen verstärkt werden müsse. "Es gibt kein Grundrecht darauf, privaten Immobilienbesitz als Gammelimmobilie jahrelang im öffentlichen Raum stehen zu lassen", schloss Prof. Di Fabio.
Zur Keynote von Prof. Dr. Dr. Di Fabio
Mit der zweiten Keynote von Prof. Dr. Uwe Schneidewind (Foto links und rechts) bekamen alle Gäste beispielhafte Einblicke in den städtebaulichen Planungsalltag der Stadt Wuppertal. Er nahme den Ball von Prof. Di Fabio auf, dass "wir als Praktiker ja die Probleme lösen müssen". Dazu käme noch, so Schneidewind, "dass wir dazu noch kein Geld haben". Das Wuppertaler Bahnhofsareal war als zentrales Innenstadtareal dann die idealtypische Blaupause für den Umgang mit dem Investorenökosystem. Das letzte große Projekt war die Entwicklung des Grundplatzes, der Eingang zur Stadt, der seit 2006 deutlich verändert wurde. Das Spektrum der Investoren war vielfältig und die Stadt habe zwischen richtig und falsch alles erlebt. Es gebe sie aber, die Engagierten, den Unternehmertypus, der der Stadt etwas zurückgeben möchten, so Schneidewind. Als studierter BW-ler sprach er von großer Freude beim Navigieren im Investorenökosystem. Es gelte, die Motivlagen gut abzugleichen. Wenn die Grundmotivation des Investors der Stadt nicht grundsätzlich gut tue, und es gibt andere, dann riet er, es auch mit anderen zu tun.
Gemeinwohlorientierte Innenstadtentwicklung Herausforderungen und Chancen der öffentlich-privaten Zusammenarbeit, Prof. Dr. Uwe Schneidewind
Artikel in der FWS 5/2024
Bernhard Faller, vhw-Bereichsleiter "Forum und Öffentlichkeitsarbeit" (rechts im linken Bild), nahm in den folgenden vier Gesprächen die Praxis in den Blick. Andreas Röhrig, Geschäftsführer moderne Stadt, Köln (links im linken Bild), zeigte den Deutzer Hafen als Projektbeispiel. Diese große innerstädtische Entwicklungsfläche wird derzeit zu einem Quartier mit rund 3.000 Wohnungen und 6.000 Arbeitsplätzen umgebaut. Als maßgebliches Erfolgsinstrument wurde dafür die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme angewendet, die einen kostengünstigeren Erwerb der Flächen ermöglichte und damit den Grundstein legte, städtische Qualitätsansprüche umzusetzen. Parallel zu den Ankaufsverfahren für die privaten Flächen wurden zudem die Planungen vorangetrieben, was eine deutliche Zeitersparnis brachte, so Röhrig.
Grundgesetzlicher Eigentumsschutz: Fundament und bisweilen Hemmnis der Stadtentwicklung - Kommunale Handlungsfähigkeit im Kontext privater und öffentlicher Interessen, Bernhard Faller, Franziska Steinbach
Artikel in der FWS 5/2024
Der Deutzer Hafen Köln – Balance zwischen Eigentümerinteressen und Gemeinwohl, Andreas Röhrig, Theo Kötter
Artikel in der FWS 5/2024
Ulrich Stücker, Bürgermeister der Stadt Wiehl (Bild links), steht vor der Herausforderung, die durch die Lage im Speckgürtel von Köln befeuerte Wohnraumnachfrage zu bedienen. Dabei fehle es allerdings an geeigneten Flächen. Eine Chance bot sich durch die Entwicklung des zentral gelegene Seequartiers. Die Gewinnung der Eigentümer zweier privater Flächen gestaltete sich dabei schwierig. Man bot Tauschgrundstücke oder die Beteiligung an einer Projektgesellschaft an, "hat alles nicht gewirkt", so das nüchterne Fazit von Stücker. Aus seiner Sicht fehle es an für kleinere Kommunen handhabbaren rechtlichen Instrumenten, um kommunale Entwicklungsabsichten zu ermöglichen: "Vor allen Dingen müssen sie viel einfacher werden, sonst bekommen wir das in kleineren Kommunen nicht bewerkstelligt."
Zwischen freiwilliger Kooperation und planungsrechtlicher Hebel - Zur Mitwirkung privater Eigentümer an der Innenentwicklung in Wiehl, Ulrich Stücker
Artikel in der FWS 5/2024
Für Stadtbaurätin Andrea Döring (Bildmitte) aus Hildesheim stellen sich aktuell zwei Aufgaben, um die Wohnraumversorgung sicherzustellen: "Wir verfolgen die Innenentwicklung, brauchen aber auch etwas behutsame Außenentwicklung." Mit dem 40 Hektar großen Wasserkamp sollen Familien und ältere Haushalte aus dem angrenzenden Bestandsquartier ein neues Zuhause finden. Man habe die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme geprüft, das Instrument aber verworfen, weil die Kriterien des erhöhten Wohnungsbedarfs nicht angewendet werden konnten. Stattdessen mussten die Flächen über den Verhandlungsweg erworben werden. An dieser Stelle fehle es der Stadt an wirksamen rechtlichen Instrumenten, so Döring.
Christoph Heidenreich (Bild rechts), Baudezernent aus Gelsenkirchen, machte die großen Herausforderungen einer Stadt im Strukturwandel deutlich. Nach einem Einwohnerverlust von knapp 120.000 Personen leidet Gelsenkirchen unter massiven Leerständen und vernachlässigten Immobilien. Verstärkt wird die Problematik durch die kleinteilige Eigentümerstruktur, die erhebliche personelle Ressourcen bei der Beseitigung der Missstände erfordert. Nur durch das Zusammenwirken unterschiedlichster Ämter, unterstützt durch öffentliche Fördermittel in nennenswertem Umfang, ist es der Stadt möglich, Immobilien zu erwerben oder deren Rückbau durchzusetzen, so Heidenreich.
Aus Frankfurt am Main waren Monika Fontaine-Kretschmer, aus dem Bundesbauministerium Dr. Gregor Forschbach und als rechtswissenschaftliche Expertise Prof. Dr. Fabian Thiel unsere Gäste der Diskussionsrunde. Petra Voßebürger, die den Tag fachlich moderierte, übernahm an dieser Stelle die Runde und stellte die Gäste vor. Schnell kam danach auch der Artikel 14 GG, der Themenkern des Verbandstages 2024, ins Spiel.
Petra Voßebürger (Bild links) eröffnete die Fragerunde. Prof. Fabian Thiel (Bild rechts) beschäftigt sich seit ca. 30 Jahren mit Bodenrecht und merkte an, dass es Aufgabe der Gesetzgebung sei, die rechtlichen Regelungen derart auszugestalten, dass das in Artikel 14 Absatz 2 adressierte Gemeinwohl zum Tragen komme. Darauf zu vertrauen, dass der vernünftige Grundstückseigentümer schon etwas Nachhaltiges aus seinem Grundstück machen würde, reiche eben nicht immer aus. Monika Fontaine-Kretschmer (2. Bild von links) entwickelte mit dem Landgericht in Wiesbaden sehr erfolgreich eine Spezialimmobilie, die aber für sie wie das Team der Nassauischen Heimstätte | Wohnstadt gerade wegen der speziellen Herausforderung sehr motivierend war. Zwischen Gemeinwohl und wirtschaftlicher Handlungsfähigkeit auszutarieren, bleibe eine Daueraufgabe, wobei für die Stadt gelte, die Gemeinwohlinteressen in der Stadtentwicklung durchzusetzen. Zugleich müsse unter aktuell veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen immer wieder geprüft werden, was tatsächlich realisierbar sei. Dr. Gregor Forschbach (2. Bild von rechts) aus dem BMWSB machte auf das Dilemma rund um eine Definition von Gemeinwohl aufmerksam. Ohne Definition seien gesetzliche Regelungen nicht sinnvoll formulierbar, um auch seinen Vollzug zu ermöglichen. Zugleich müsse das Gemeinwohl immer wieder neu in der Praxis ausgehandelt werden.
Die „Transparenzpflichtigkeit“ des Grundstückseigentums, Prof. Fabian Thiel
Artikel in der FWS 5/2024
Prof. Dr. Lisa Herzog zeichnete als Philosophin und Soziologin ein Bezugssystem. Sie erklärte für Gemeinwohl und Eigentum die "externen Effekte" bei Investitionen aus einem historischen Verständnis (Adam Smith) und fragte dann, welche Effekte man denn heute mitdenke? Wäre nicht auch eine willkommen heißende, lebendige Stadt ein Wert, der für Investitionen angelegt werden sollte? Müsste man nicht den Gemeinwohlbegriff genauer erklären? Eigentum sei eigentlich eine Kombination von Rechten, wie Nutzen, Verkauf, Wiederverkauf. Somit könne Eigentum sehr unterschiedlich ausgestaltet werden. Wie kann nun demokratisches Regieren diese Eigentumsrechte ausgestalten? Lange galt unsere dreigeteilte Ordnung mit basalen Rechten wie dem Grundgesetz, dem freien Markt mit Privatinvestitionen und dem staatlichen Nachregeln oder Wiedereinhegen über z. B. Umverteilung, weil der Markt eben das Gemeinwohl nicht immer direkt fördere. An dieser Stelle ändere sich gerade etwas. "Wir müssen zu einem anderen Modell kommen, wo von vornherein eine andere Logik vorherrscht", sagte Prof. Herzog und nannte das philosophische Gedankenmodell des "überlappenden Konsens". Könne man nicht Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen auf gemeinsame Werte einigen, die stabil genug wären, um darauf Politik aufzubauen?
vhw-Vorstand Prof. Dr. Jürgen Aring (Bild rechts) verglich die Veranstaltung in seinem Fazit mit einer Achterbahnfahrt voller guter theoretischer Gedankenläufe und konkreter Umsetzungslösungen. Er zitierte aus den Vorträgen und betonte den Aushandlungswillen auf vielen Seiten. Vor allem die Beispiele aus der umsetzenden kommunalen Praxis haben ihn beeindruckt und machen gleichzeitig auch etwas nachdenklich, weil das Gute in der Umsetzung so vieler Kraftanstrengungen und Aufwände bedarf. Er dankte allen Impulsgebenden und lud zum Austausch beim Get together.