Verbandstag 2021

Digitalisierung: Treiber in der Stadtentwicklung


Endlich wieder vor Ort. Mitten in Berlin - in der Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom (Bild links). Vor 150 Gästen eröffnete Fachmoderatorin Nadia Zaboura (Bildmitte) die Veranstaltung zum Thema "Digitalisierung: Treiber in der Stadtentwicklung". Anschließend begrüßte Dr. Peter Kurz (Bild rechts), vhw-Verbandsratsvorsitzender und Oberbürgermeister der Stadt Mannheim, sehr herzlich die Teilnehmenden. "75 Jahre", so betonte Dr. Kurz, "sind nur zu erreichen, wenn man sich immer wieder verändert, was dem Verband bis heute gelungen ist". Die Pandemie war dabei für den vhw eine besonders große Prüfung gewesen, denn das gesamte Fortbildungsgeschäft musste von Präsenz auf digital umgebaut werden. Dr. Kurz sprach allen, die daran mitwirkten und mitwirken, einen großen Dank für diese großartige Leistung aus. Mit der Frage, worum es eigentlich bei kommunalen Digitalisierungsstrategien gehen müsse, zeichnete Dr. Kurz ein Bild, dass öffentliche Verwaltungen nicht als "Abnehmer" von technologischen Lösungen für Smart City, sondern in der verantwortungsvollen Arbeit verbesserter politischer Steuerung versteht.

 

Digitalisierung und Stadtgesellschaft - von der Smart City zur digitalen Region

Prof. Dr. Jörg Müller-Lietzkow (Bild links), übernahm dankenswerter Weise für den kurzfristig ausgefallenen Gerald Swarat die Keynote. Als Präsident der HafenCity Universität Hamburg (HCU), Professor für Ökonomie und Digitalisierung und "alter Gamer", als welchen er sich selbst bezeichnete, startete er mit der Tatsache, dass der Duden 50 Synonyme für Smart City aufführt, ohne jemals das Wort "digital" zu erwähnen. Drei Thesen stellte er auf, wovon die erste lautete: "Die Smart City ist nicht die digitalste auf dem Planeten, sondern jene, die es schafft, Gesetz und Ziele intelligent zu erfüllen und Anschlusspotenziale zu bauen." Etwas besser als bisher zu machen, ist für ihn das wirklich Smarte, jedoch immer dabei das jeweilige Ziel vor Augen zu behalten und Menschen dafür zu bilden, auszustatten, um sie mitzunehmen. Seine Thesen im ausführlicheren Bericht der nächsten Forum Wohnen und Stadtentwicklung.

 

Stadtentwicklung und digitaler Wandel - Drei Impulse

 

Aus wirtschafts-wissenschaftlicher,  kommunaler und zivilgesellschaftlicher Perspektive betrachteten die drei Impulsgebenden den digitalen Wandel in der Stadtentwicklung:

  • Dr.-Ing. Alanus von Radecki, Leiter Daten- und Kompetenzzentrums für Städte & Regionen (Bild links). Seine Vision, d e n neuen Standard für kommunales Datenmanagement zu setzen, um mitzuhelfen, die Zukunft mit Daten zu gestalten. Die Herausforderungen für Kommunen sind heute substanziell andere als vor 10 Jahren. Digitale Lösungen sind heute schon gut verbreitet, um beispielsweise CO2-Emmissionen zu messen, Pendlerzeiten zu verringern, Wasser einzusparen, Infektionsraten zu reduzieren. Datenbasierte Lösungen sollten vor allem diese drei Qualitäten erbringen: 1.Ressourceneffizienz: Tolles Beispiel JELBI in Berlin , 2. Echtzeitsteuerung von vernetzten Systemen: z. B. bei der Umstellung der Energiestruktur auf Erneuerbare Energien und 3. Evidenzbasierte Entscheidungen ermöglichen. "Die Frage ist nicht ob, sondern wie wir digitalisieren", so sein Tenor.
     
  • Diana Hoffmeister, Digitalisierungsbeauftragte der Stadt Goslar (Bildmitte). "Daten sind das neue Gold unserer Zeit, sie gelte es zu bergen", so ihr Eingangssatz. Mit der Einrichtung der AG "Go(slar)Smart" brachten sich erstmals 12 Vertreter von Verwaltung und Wissenschaft in einen gemeinsamen Austausch. Aus dem "Gemeinsam" erwuchsen erste digitale Projekte, die bereits KI-basierte, praktische Lösungen geschaffen haben - u. a. war ein Anlass das Hochwasser 2017. Entwickelt wurde ein Vorwarnsystem, das heute mit einer Zuverlässigkeit von 98,7 Prozent arbeiten kann. "Jetzt braucht es noch Daten, die erstellt und gespeichert werden müssen. Zum Umgang mit ihnen müssen wir uns vereinbaren.", so Hoffmeister.
     
  • Dr. Anna Becker, Seniorwissenschaftlerin vhw und Clusterkoordinatorin des vhw-Forschungsbereichs "Digitalisierung" (Bild rechts). Sie beleuchtete das Spannungsfeld zwischen Digitalisierung, Zivilgesellschaft und Stadtentwicklung. Digitale Strukturen werden von der neuen Gruppe der Neointermediären bereits häufig und erfolgreich genutzt. Nicht selten schaffen es damit Themen in den öffentlichen Fokus zu Fragen der Stadtentwicklung, die vorher dort nicht standen. "Dennoch haben zivilgesellschaftliche Plattformen oft den Nachteil, dass sie nicht an reguläre Stadtentwicklungsprozesse angeschlossen sind", so Dr. Becker. Eine neue Kooperations-Kultur sei daher vonnöten, die verbindliche Verabredungen zu Ergebnissen und Schnittstellen zu den Gestaltungs- und Beteiligungsprozessen herstellen kann. "Digitalisierung ist kein rein technisches, sondern in erster Linie ein gesellschaftliches Thema, bei dem es um Gerechtigkeit, Solidarität, Teilhabe geht" - so zitierte Anna Becker aus der Agenda der Initiative Digitale Zivilgesellschaft.
     

Anschließende Diskussion im Trialog

Das Dezentralisierungspotenzial von Digitalisierung - neue Attraktivität für Suburbia und ländliche Räume?

Prof. Dr. Stefan Siedentop, Wissenschaftlicher Direktor des ILS-Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (Bild links). Er setzte sich mit der Frage auseinander: Wie wirkt eigentlich digitale Information im Raum? Die Kosten der Raumüberwindung waren noch nie so gering wie heute - gemeint waren dabei u. a. das Speichern von Daten, das Abhalten von Konferenzen etc. Wahr sei aber auch, dass noch nie so viele Menschen in Metropolen gewohnt haben wie heute, stellte er fest und formulierte die Frage: "Warum erscheint uns die Koexistenz sinkender Kommunikationskosten und ungebrochener Urbanisierung auf der anderen Seite wie ein Widerspruch?" Immer leistungsstärkere Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), das Web, das Netz ermöglichen es vielen, nicht unbedingt physisch vor Ort sein zu müssen. Wird die Stadt somit überflüssig? Auch in der digitalen Ära bleibt die persönliche Begegnung von Menschen eine Voraussetzung für einen Wissensspillover, den Wissensaustausch bzw. die Wissenstransformation. In der Phase der Durchsetzung von Leittechnologien kam es in der Entwicklung der Gesellschaft oft zu einer raumstrukturellen Konzentration, erst danach war eine Dekonzentration zu erwarten. "Geringere Bodenkosten, geringere Lohnkosten machten es attraktiv", so Siedentop.

Beitrag in der Ausgabe 5/2021 FWS

Kommunale Digitalisierungsstrategien - eine moderierte Diskussionsrunde

Ilona Benz (IB), Leiterin der Stabsstelle Digitalisierung beim Gemeindetag Baden-Württemberg (Bild links): Digitallotsen gehören in jedes Rathaus!

Diana Hoffmeister (DH), Digitalisierungsbeauftragte der Stadt Goslar (Bild rechts): Unsere Verwaltung ist wachgeküsst!

Tobias Schulze (TS), Mitglied des Abgeordnetenhauses Die Linke, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Sprecher für Wissenschaft und Forschung, Netzpolitik, Digitale Verwaltung (Bildmitte): Die Neuausrichtung der Digital-Politik in Berlin ist entscheidend!

Gibt es einen Digitalschub in den Kommunen?

DH: Corona war durchaus ein Katalysator. Das Open Rathaus startete 2021. Nicht weiter zu machen wie bisher, neu zu denken und dies mit den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt gemeinsam zu tun bleibt eine permanente Herausforderung. Goslar hat eine Digitalisierungsstrategie und zudem ein Team zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes.

IB: Das Digitallotsen-Programm wurde 2018 in Baden-Württemberg ins Leben gerufen. Der Grundgedanke bei einer zumeist fehlenden Zuständigkeit war, Digitalisierung in der Fläche zu verankern. Mittlerweile gibt es 600 qualifizierte Digitallotsen im Land. Es funktioniert dort gut, wo in jedem Fachamt ein Mitarbeiter in das Programm geschickt wird.

TS: Startups als Boost für Verwaltungsdigitalisierung einzusetzen, war ein eher untauglicher Versuch. Wir nutzen heute die von unten wachsenden Digitalisierungsprozesse - mit der Maßgabe der Gemeinwohlorientierung und die öffentliche Hand muss die Steuerungshoheit haben und beibehalten.

Beiträge in der Nr. 5/2021 FWS       D. Hoffmeister         I. Benz          T. Schulze
 

Wie können wir die Digitalisierung nachhaltig gestalten?

Dr. Reinhard Messerschmidt, ehemals wiss. Referent in der WBGU Geschäftsstelle, aktuell tätig bei Zukunft - Umwelt - Gesellschaft (ZUG) gGmbH, Berlin (Bild links). Der interdisziplinäre Sozialwissenschaftler lud alle ein, die smarte Stadt neu zu denken. BMU + BMBF haben 1992  einen interdisziplinären Beirat ins Leben gerufen, um sich mit den globalen Umweltveränderungen zu beschäftigen. Kerngeschäft dabei ist die Transformation zur Nachhaltigkeit, das Gutachten "Unsere gemeinsame digitale Zukunft" ein Ergebnis aus der Arbeit. Ein Anliegen dieser Arbeit ist es, Digitalisierung global - also breit - in den Dienst der Nachhaltigkeit zu stellen. "Was heißt das eigentlich? Wir sollten smart sein und eine Befeuerung nichtnachhaltiger Wachstumsmuster verhindern. Von wem sind eigentlich die Treiber getrieben? In den Kontext der Entwicklungen gehört auch der Begriff der 'Würde'", so Messerschmidt. In welcher digitalisierten Welt wollen wir leben, ist eine Frage, die doch immer wieder bei allen KI-basierten Entwicklungen zu stellen sei.

 

Ein Wort zum Schluss und Austausch beim Get together


Prof. Dr. Jürgen Aring, Vorstand vhw e. V. (Bild links), dankteNadia Zaboura für die Moderation des Tages sowie der zwei Fachrunden und schloss den vhw-Verbandstag 2021 mit einem Tagesfazit. Auf seinem Redezettel stand geschrieben: Ich muss noch viel lernen! "Das richtige Verstehen ist bei all unseren aktuellen digitalen Entwicklungen zentral, auch, sich immer wieder die Frage zu stellen: Warum das Ganze?", so Aring. Es reiche eben nicht, die Technik einzukaufen. Für ein Gelingen brauchte es die über den Tag mehrfach erwähnte und gewünschte notwendige Rückendeckung von den Führungsstellen. Digitalisierung müsse sowohl in ihrer technischen Funktionsweise verstanden werden, als auch darin, wo die Potenziale für die Gestaltung von Gesellschaft stecken. Prof. Aring lud anschließend zum Austausch beim Get together im Lichthof der Hauptstadtrepräsentanz.

Zum Bericht in der Forum Wohnen Stadtentwicklung Nr. 6/2021