Mit einem ambitionierten Maßnahmenmix könnte der Gebäudesektor in Deutschland schon 2035 praktisch treibhausgasneutral sein. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Heizen ohne Öl und Gas bis 2035 – Ein Sofortprogramm für erneuerbare Wärme und effiziente Gebäude", die das Wuppertal Institut im Auftrag von Greenpeace erstellt hat. Die Wärmeversorgung sei in Deutschland heute noch vor der Industrie der größte Nachfrager nach Erdgas. "Die kurzfristigen Alternativen zu Erdgas bei der Beheizung der Gebäude sind zwar begrenzt, mittelfristig sind die Möglichkeiten der Umsteuerung aber groß", sagt Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, und ergänzt: "Mit einer klugen auf Effizienzsteigerung und den Ausbau erneuerbarer Energien ausgerichteten Strategie reduzieren sich nicht nur die Versorgungsrisiken. Die beschleunigte Wärmewende ist für Haushalte, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen auch wirtschaftlich höchst attraktiv."
Der Ausstieg aus Öl und Gas erfordere zunächst jährlich zusätzliche Investitionen in Höhe von 50 Milliarden Euro sowie 22 Milliarden Euro staatliche Fördergelder. Doch dies sei eine Investition in die Zukunft und aus heutiger Sicht notwendige Vorleistung, um zukünftig Geld einzusparen. 2035 könnten durch dieses Investment jährlich netto 11,5 Milliarden Euro der Kosten eingespart werden. Hinzu kämen erhebliche positive volkswirtschaftliche Effekte. Mit den Maßnahmen könnten eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen oder gesichert werden – davon die Hälfte in der Bauwirtschaft. Schließlich führe die beschleunigte Wärmewende zur Verringerung von 168 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr. "Um die Klimaziele nicht zu verfehlen, muss die Politik jetzt die Weichen für eine schnelle Wärmewende stellen", betont Manfred Fischedick.
Dr. Stefan Thomas, Leiter der Abteilung Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik am Wuppertal Institut und Hauptautor der Studie, betont, dass in drei zentralen Bereichen jeweils eine ordnungsrechtliche Maßnahme mit einer spezifischen, dazu passenden finanziellen Fördermaßnahme kombiniert werden müsse. Die Vorschriften würden Verbindlichkeit schaffen und die Wärmewende beschleunigen. Die Förderung mache die Investition für die Verpflichteten wirtschaftlich attraktiv.
Sofortprogramm für die Wärmewende
Die Studie stellt dafür ein Sofortprogramm vor, mit dem ein beschleunigter Umstieg auf erneuerbare Energien in dem Sektor machbar ist. Unter anderem zählt dazu ein Ausstiegsgesetz, mit dem der Einbau neuer Öl- und Gasheizungen ab 2024 und der Betrieb bestehender Anlagen schrittweise bis 2035 verboten werden. Als notwendige Ergänzung dazu schlägt die Studie ein Förderprogramm für zwölf Millionen Wärmepumpen und 70 Millionen Quadratmeter Solarthermie-Anlagen vor.
Damit die beschleunigte Wärmewende gelinge, müsse aber insbesondere auch der Energiebedarf der bestehenden Gebäude sinken. Das Sofortprogramm sieht deshalb in Abhängigkeit des Effizienzstandards eine schrittweise Pflicht zur Sanierung ineffizienter Gebäude vor, sodass bis 2040 alle Gebäude die Effizienzklasse B erreichen. Unterstützt werden sollte dies mit einer Weiterentwicklung der Bundesförderung für effiziente Gebäude, die zur Sanierung von jährlich mindestens drei Prozent der Gebäude führt. Darüber hinaus müssten Nah- und Fernwärmenetze stark ausgebaut und bis 2035 auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Hierfür sind gesetzliche Ziele und Standards zu formulieren und mit einem Förderprogramm für Betreibende und Kommunen zu kombinieren.
Die drei zentralen Maßnahmen-Bereiche benötigten zudem weitere wichtige Instrumente zur Flankierung. Dazu würde die Stärkung von neuen kostengünstigen Fertigungstechnologien wie das serielle Sanieren gehören, die praktische Unterstützung bei der Umsetzung – etwa durch lokale One-Stop-Agenturen, die Energieberatung, Baubegleitung und Qualitätskontrolle aus einer Hand anbieten –, und eine Qualifizierungsoffensive für mehr Handwerker*innen und Energieberater*innen. Auch eine effizientere Flächennutzung sollte gefördert werden, beispielsweise durch Wohntauschprogramme und Umbauförderung. Quelle/Weitere Informationen: Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, Pressemitteilung vom 2. März 2022