Mit dem von der STUVA e. V. in Köln erarbeiteten Leitfaden "Standards für die Herstellung barrierefreier Bushaltestellen – Leitfaden zur Richtlinie NMOB-Barrierefreiheit" hat die saarländische Landesregierung ihren Kommunen und Gemeinden eine wertvolle Planungshilfe für den Neu-, Um- und Ausbau von Bushaltestellen an die Hand gegeben. Der Leitfaden ist ein konsequenter Schritt hin zur vollständig barrierefreien Gestaltung des ÖPNV für alle mobilitätseingeschränkten Menschen im Saarland und deren selbst bestimmter Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Rund 40 % der Bevölkerung profitieren unmittelbar von einem barrierefreien Öffentlichen Personenverkehr. Denn nicht nur Menschen mit einer amtlich festgestellten dauerhaften Behinderung (z. B. seh- und hörgeschädigte, körperbehinderte und kognitiv beeinträchtigte Personen) sind mobilitätseingeschränkt, sondern auch viele andere wie z. B. Schwangere, Kinder, ältere Menschen und solche mit temporären Verletzungen, aber auch Personen mit schwerem Gepäck oder ortsunkundige Personen. Eine vollständig barrierefreie Nutzbarkeit des ÖPNV steigert zudem die Attraktivität für alle Fahrgäste. Was für die einen Nutzungserleichterung darstellt oder überhaupt erst den Zugang zum ÖPNV ermöglicht, bedeutet für die anderen eine Komfortsteigerung – beispielsweise durch einen stufenlosen Fahrzeugeinstieg oder durch eine leicht verständliche Fahrplaninformation.
Der Leitfaden "Standards für die Herstellung barrierefreier Bushaltestellen" stellt selbst keine neuen Planungsanforderungen auf, sondern verknüpft bestehende Vorgaben für barrierefreie Verkehrsanlagen aus geltenden Regelwerken zu einer kompakten und praxistauglichen Handlungshilfe für alle Planer barrierefreier Bushaltestellen. Oberstes Ziel des Leitfadens ist die Vermeidung von Planungsfehlern, die trotz aller Mühe leicht entstehen können. Als zukünftige Zielhöhe für die Höhe der Haltestellenkante sollen im Saarland 22 cm gelten. Die Entwurfsplanung von barrierefreien Bushaltestellen mit hohen Haltekanten stellt erhebliche Anforderungen an die Qualifikation von Planenden und Bauausführenden vor allem hinsichtlich der Wechselwirkungen mit Querneigungen der Fahrbahn und des Seitenraums sowie der Anwendung praxisgerechter Schleppkurven. Um einen möglichst hohen Praxisbezug und Akzeptanz sicherzustellen, wurde daher auf eine enge Abstimmung mit größeren Verkehrsunternehmen, dem Zweckverband Personennahverkehr Saarland und dem Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen großer Wert gelegt.
„Die örtlichen Gegebenheiten sind von Haltestelle zu Haltestelle oft völlig unterschiedlich. Daher gibt es leider nicht „die eine“ perfekt barrierefreie Bushaltestelle, die sich überall reproduzieren lässt“, fasst der Projektleiter des Leitfadens Dr.-Ing. Dirk Boenke von der STUVA die Hauptschwierigkeit bei der Planung zusammen. „Haltestellenplaner müssen für jede einzelne Haltestelle beispielsweise festlegen, welche Haltestellenform in Verbindung mit der Höhe der Haltekante und weiteren Parametern ein Anfahren des Busses für einen barrierefreien Fahrgastwechsel überhaupt ermöglicht. Außerdem müssen Bodenindikatoren für sehgeschädigte Menschen korrekt verlegt und die barrierefreie Zuwegung, also die Anbindung der Haltestelle an das umliegende Wegenetz, individuell angepasst werden“, so der Leiter der Abteilung Verkehr & Umwelt bei der STUVA weiter. „Wichtig ist auch eine konfliktfreie Radverkehrsführung, um nur die wichtigsten Mindeststandards der Barrierefreiheit sicherzustellen.“ Diese Mindestanforderungen müssen grundsätzlich an jeder Haltestelle umgesetzt werden. Dazu kommen noch zahlreiche Planungselemente des sogenannten erweiterten Standards, die je nach Bedeutung der Haltestelle (z. B. hohes Fahrgastaufkommen oder wichtiger Verknüpfungspunkt) ebenfalls realisiert werden müssen. Hierzu gehören barrierefreie Sitzgelegenheiten und Fahrgastunterstände genauso wie Dynamische Fahrgastinformationsanzeiger. Darüber hinaus geht der Leitfaden auch auf viele weitere wichtige Punkte ein, wie z. B. die notwendige Beachtung des Zwei-Sinne-Prinzips bei der Planung, Anforderungen an die Busse oder auch auf die notwendige Schulung des Fahrpersonals und dessen Sensibilisierung hinsichtlich des Unterstützungsbedarfs für mobilitätseingeschränkte Menschen.
Der Leitfaden ist im Saarland als einheitlicher Standard für die Herstellung der Barrierefreiheit bei Bushaltestellen festgeschrieben. Die Landesregierung fördert den Aus- und Umbau sowie Neubaumaßnahmen an Haltestellen des straßengebundenen ÖPNV (Bushaltestellen) mit 90 % der zuwendungsfähigen Kosten auf Basis der Richtlinie NMOB-Barrierefreiheit. Diese Fördergelder können künftig nur dann beantragt werden, wenn die Beachtung des neuen Leitfadens nachgewiesen wird. Dabei wird die Bearbeitung der Anträge und die Prüfung der Konformität der Planung mit dem Leitfaden durch eine Checkliste sichergestellt. So soll erreicht werden, dass die Barrierefreiheit aller Haltestellen im Saarland in einem einheitlichen Ausbaustandard und ohne schwerwiegende Planungsfehler gelingt. Natürlich ist der Leitfaden auch für alle anderen an der Thematik interessierten Personen außerhalb des Saarlandes eine empfehlenswerte Lektüre.
Der neue Leitfaden ist als barrierefreie digitale Ausgabe auf der Internetseite des Saarländischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Mobilität, Agrar und Verbraucherschutz abzurufen, auf der Sie außerdem weitere Informationen zu der Förderrichtlinie Nachhaltige Mobilität in puncto Barrierefreiheit finden.
Quelle/Weitere Informationen: Studiengesellschaft für Tunnel und Verkehrsanlagen – STUVA – e. V., Pressemitteilung vom 12. Mai 2023