Der 11. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) hat mit Urteil vom 6. Oktober 2020 entschieden, dass die von der Polizeidirektion Hannover an den fünf im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Standorten betriebene Videobeobachtung aktuell rechtswidrig ist sowie an zwei weiteren Standorten, an denen die Kameras im März 2020 demontiert wurden, rechtswidrig war (Az.: 11 LC 149/16).
Der Kläger wendet sich gegen die von der Polizeidirektion in Hannover an verschiedenen öffentlich zugänglichen Orten betriebene Videoüberwachung. Mit Urteil vom 9. Juni 2016 hatte das Verwaltungsgericht seiner ursprünglich auf 78 Kameras bezogenen Klage in Bezug auf 56 Kamerastandorte stattgegeben und der Polizeidirektion Hannover aufgegeben, an diesen Standorten die Bildübertragung sowie die Aufzeichnung dieser Bilder zu unterlassen. Hinsichtlich der weiteren 22 Standorte hatte es die Klage abgewiesen, da diesbezüglich die Voraussetzungen nach dem – zum Zeitpunkt des Urteilserlasses geltenden – Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) für eine Videobeobachtung und Aufzeichnung vorlägen (Az.: 10 A 4629/11).
Mit ihrer gegen dieses Urteil eingelegten Berufung hat die Polizeidirektion ursprünglich beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts abzuändern, soweit es der Klage stattgegeben hat und die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Im Laufe des Berufungsverfahrens hat die Polizeidirektion den Betrieb von 51 der vom stattgebenden Tenor des Verwaltungsgerichts umfassten Kamerastandorte eingestellt bzw. auf andere Behörden übertragen. In Bezug auf 49 dieser Standorte haben die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt. Hinsichtlich zwei weiterer Standorte, an denen die Polizeidirektion beabsichtigt, den Betrieb der Kameras im Jahr 2021 unter Einsatz neuer Kameramodelle wiederaufzunehmen, hat der Kläger seinen Klageantrag angepasst und beantragt festzustellen, dass der Betrieb dieser Kameras rechtswidrig war. Bei den beiden letztgenannten Kameras handelt es sich um eine Kamera am Standort Königsworther Platz, die dauerhaft Bilder aufgezeichnet und für fünf Tage gespeichert hat sowie um eine sog. Veranstaltungskamera am Theodor-Heuss-Platz, die nur anlassbezogen, z. B. bei großen Veranstaltungen, aktiviert wurde. Die fünf aktuell noch von der Polizeidirektion betriebenen Kameras sind ebenfalls Veranstaltungskameras, die nur anlassbezogen angeschaltet werden. Eine Übersicht sämtlicher Standorte findet sich auf der von der Polizeidirektion Hannover betriebenen Internetseite).
In Bezug auf die Kamerastandorte, für die die Beteiligten übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben haben, hat der Senat das Verfahren eingestellt. Hinsichtlich der fünf aktuell noch von der Polizeidirektion betriebenen Veranstaltungskameras an den Standorten Rudolf-von-Bennigsen-Ufer, Bruchmeisterallee, Lister Platz, Schützenplatz und TUI-Arena hat die Berufung keinen Erfolg, da der Betrieb dieser Standorte gegenwärtig rechtswidrig ist. In Bezug auf die Kamerastandorte Königsworther Platz und Theodor-Heuss-Platz hat der Senat festgestellt, dass der Betrieb dieser Kameras bis zur Demontage der Kameras im März 2020 rechtswidrig war.
Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass die Videobeobachtung zwar einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstelle, der jedoch grundsätzlich durch die nunmehr seit dem 24. Mai 2019 gültigen § 32 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 i.V.m. Satz 2 und Satz 3 des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (NPOG) gerechtfertigt werden könne. Die genannten Vorschriften genügten den verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung einschränkende Normen. Das Land verfüge über die notwendige Gesetzgebungskompetenz und die maßgeblichen Vorschriften seien hinreichend bestimmt und verhältnismäßig. Die Polizeidirektion habe jedoch nicht ausreichend dargelegt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Normen in Bezug auf die streitgegenständlichen Kamerastandorte erfüllt seien.So entspreche die von der Polizeidirektion vorgenommene Kenntlichmachung nicht den Anforderungen des § 32 Abs. 3 Satz 2 NPOG. Die von der Polizeidirektion auf vorhandenen Pfosten angebrachten Aufkleber seien aufgrund der Krümmung der Pfosten und der Vielzahl der auf diesen Pfosten regelmäßig angebrachten anderen Aufkleber/Zettel für den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer – anders als die früher von der Polizeidirektion teilweise zur Kennzeichnung genutzten Hinweisschilder – nicht ausreichend wahrnehmbar. Die von der Polizeidirektion vorgelegten Jahresstatistiken seien nicht geeignet, den nach § 32 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 NPOG erforderlichen Zusammenhang zwischen einer temporären Veranstaltung und einer im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dieser Veranstaltung zu erwartenden Straftat darzulegen. Zudem habe die Polizeidirektion keine Daten dazu vorgelegt, wann sie die temporär genutzten Veranstaltungskameras jeweils aktiviert habe und welche Straftaten in diesen Zeiträumen erfasst worden seien.
Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht hat der Senat nicht zugelassen. Die Entscheidung kann aber mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden und ist bis zum Ablauf der dafür geltenden Fristen noch nicht rechtskräftig. Quelle: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (OVG), Pressemitteilung vom 6. Oktober 2020