Die Abwassergebührenkalkulation der Stadt Oer-Erkenschwick für das Jahr 2017 ist rechtswidrig, weil die konkrete Berechnung von kalkulatorischen Abschreibungen und Zinsen zu einem Gebührenaufkommen führt, das die Kosten der Anlagen überschreitet. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster am 17. Mai 2022 in einem Musterverfahren entschieden und damit seine langjährige Rechtsprechung zur Kalkulation von Abwassergebühren geändert (Az.: 9 A 1019/20).
Ein Bürger aus Oer-Erkenschwick hatte gegen die Festsetzung von Schmutz- und Regenwassergebühren für das Jahr 2017 in Höhe von 599,85 Euro geklagt. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen wies die Klage im Jahr 2020 ab. Die Berufung des Klägers hatte nun Erfolg – das Oberverwaltungsgericht hob den Gebührenbescheid auf.
Zur Begründung hat der 9. Senat des OVG ausgeführt, dass die Satzung über die Erhebung von Abwassergebühren in der Stadt Oer-Erkenschwick aus November 2016, die dem Gebührenbescheid für 2017 zugrunde liegt, unwirksam sei. Die Gebühren seien insgesamt um rund 18 Prozent überhöht gewesen. Neben einem geringfügigen Rechenfehler (doppelter Ansatz der Abschreibungen für Fahrzeuge und Geräte) lägen nach der nun erfolgten Änderung der bisherigen, 1994 begründeten Rechtsprechung des OVG zwei grundlegende Kalkulationsfehler vor.
Der gleichzeitige Ansatz einer Abschreibung der Entwässerungsanlagen mit ihrem Wiederbeschaffungszeitwert (Preis für die Neuanschaffung einer Anlage gleicher Art und Güte) sowie einer kalkulatorischen Verzinsung des Anlagevermögens mit dem Nominalzinssatz (einschließlich Inflationsrate) sei unzulässig, erklärt das Gericht. An der bisherigen anderslautenden Rechtsprechung werde nicht mehr festgehalten. Diese Kombination von Abschreibungen und Zinsen sei nach dem vom Gericht eingeholten Gutachten zwar betriebswirtschaftlich vertretbar, worauf das Kommunalabgabengesetz zunächst abstelle. Aus der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen ergebe sich aber der Zweck der Gebührenkalkulation, durch die Abwassergebühren nicht mehr als die dauerhafte Betriebsfähigkeit der öffentlichen Einrichtung der Abwasserbeseitigung sicherzustellen. Die Gebühren dürften nur erhoben werden, soweit sie zur stetigen Erfüllung der Aufgaben der Abwasserbeseitigung erforderlich seien. Der gleichzeitige Ansatz einer Abschreibung des Anlagevermögens auf der Basis seines Wiederbeschaffungszeitwertes sowie einer kalkulatorischen Nominalverzinsung widerspreche diesem Kalkulationszweck, weil er einen doppelten Inflationsausgleich beinhalte.
Außerdem sei der von der Stadt in der Gebührenkalkulation – ebenfalls auf Basis der bisherigen Rechtsprechung – angesetzte Zinssatz von 6,52 Prozent sachlich nicht mehr gerechtfertigt. Der hier gewählte einheitliche Nominalzinssatz für Eigen- und Fremdkapital, der aus dem fünfzigjährigen Durchschnitt der Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten zuzüglich eines pauschalen Zuschlags von 0,5 Prozentpunkten für höhere Fremdkapitalzinsen ermittelt wurde, gehe über eine angemessene Verzinsung des für die Abwasserbeseitigungsanlagen aufgewandten Kapitals hinaus. Das OVG hält es bei einer einheitlichen Verzinsung für angemessen, den zehnjährigen Durchschnitt dieser Geldanlagen ohne einen Zuschlag zugrunde zu legen. Daraus ergäbe sich für das Jahr 2017 bei der von der Stadt Oer-Erkenschwick ansonsten gewählten Methode ein Zinssatz von 2,42 Prozent.
Das OVG hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann die Stadt Beschwerde einlegen, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
Quelle/Weitere Informationen: Oberverwaltungsgericht NRW in Münster, Pressemitteilung vom 17. Mai 2022