Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg hat entschieden, dass syrischen Asylbewerbern nicht allein deshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, weil sie aus Furcht davor, zum (Reserve-)Militärdienst in die syrische Armee eingezogen zu werden, aus ihrem Heimatland ausgereist sind.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte den Klägern der zwei Berufungsverfahren wegen des in Syrien herrschenden Bürgerkriegs sog. subsidiären Schutz gewährt. Die Verwaltungsgerichte Osnabrück (Urteil vom 10.09.2018 - 7 A 232/16 -) und Oldenburg (Urteil vom 28.02.2017 - 2 A 6204/16 -) hatten ihnen demgegenüber auf ihre Klagen den weitergehenden Flüchtlingsschutz zuerkannt.
Auf die Berufungen der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das BAMF, hat der 2. Senat diese Urteile nunmehr geändert und die auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gerichteten Klagen jeweils abgewiesen.
Damit hat er zugleich seine bisherige Rechtsprechung (grundlegend Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17 -, siehe dazu auch die Pressemitteilung des OVG vom 27.06.2017) auch unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 19. November 2020 - C-238/19 -, das aufgrund eines sogenannten Vorabentscheidungsersuchens des Verwaltungsgerichts Hannover ergangen ist, bestätigt.
Zur Begründung hat der 2. Senat im Wesentlichen ausgeführt: Nach der aktuellen Erkenntnislage sei davon auszugehen, dass die bloße Wehrdienstentziehung ohne risikoerhöhende Umstände nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer Verfolgung aus politischen Gründen in Syrien führe. Die syrische Armee rekrutiere zwar angesichts des bestehenden Personalbedarfs auch weiterhin wehrdienstpflichtige Männer, das syrische Regime unterstelle aber nicht jedem Wehrdienstentzieher eine oppositionelle Gesinnung. Dagegen spreche zunächst die Behandlung, die Wehrdienstentzieher in Syrien im Vergleich zu den Personen drohe, die sich tatsächlich politisch gegen das Regime betätigt hätten oder von diesem als Regimegegner angesehen würden. Während ersterer Gruppe im Regelfall lediglich die Einziehung zum Militärdienst drohe, hätten die Angehörigen der zweiten Gruppe vielfach mit Haft, Folter und sogar dem Tod zu rechnen. Zum anderen könnten sich im Ausland aufhaltende Wehrpflichtige durch Zahlung eines Wehrersatzgeldes vom Wehrdienst freikaufen. Der Entscheidung des Senats liegt außerdem die Einschätzung zugrunde, dass mit der Ableistung des Wehrdienstes für einen nach Syrien zurückkehrenden Wehrpflichtigen bei Auswertung der aktuellen Erkenntnislage nicht zwangsläufig oder sehr wahrscheinlich die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung an Kriegsverbrechen verbunden wäre.
Der 2. Senat hat sich damit im Ergebnis der kürzlich ergangenen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 22.03.2021 - 14 A 3439/18.A -) angeschlossen und ist der gegenteiligen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (Urteil vom 29.01.2021 - 3 B 109/18 -) nicht gefolgt.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen die Urteile nicht zugelassen. Dagegen kann innerhalb eines Monats nach Zustellung der Urteile jeweils Beschwerde eingelegt werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
Quelle/Weitere Informationen: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht in Lüneburg vom 23. April 2021