Am 17. Juli 2016 besuchten Mitarbeiter des Bundesverbandes für Wohnen und Stadtentwicklung das Schulfest des Albert-Schweitzer-Gymnasiums in Berlin-Neukölln. Sie wollten von den Schülerinnen und Schülern wissen, wo sie sich in ihrer Freizeit aufhalten. Auf einer stilisierten Karte des Quartiers Flughafenstraße konnten die Jugendlichen mit Klebepunkten markieren, zu welchen Orten sie gerne nach dem Unterricht gehen. Neben der Schule selbst, die eine Musik-AG sowie weitere Projekte anbietet, waren es Bolz- und Spielplätze, sowie das örtliche Einkaufszentrum, wo die Jugendlichen nach der Schule häufig ihre Zeit verbrachten.
Die Befragung fand im Rahmen des Projekts "Bildungsquartier Flughafenstraße" statt, dass in einem Zeitraum von über einem Jahr Wege zu mit einer besseren Vernetzung von Bildungsakteuren, Jugendbetreuungseinrichtungen und Verwaltung auslotet. Mittelfristig sollen damit die Bildungschancen von jungen Menschen aus dem Quartier verbessert werden. Das Projekt beruht auf der Kooperation zwischen vhw und dem Quartiersmanagement Flughafenstraße. Durch die Recherche von Bildungskennzahlen, sowie Interviews mit verschiedenen Experten aus Bildung und Verwaltung, sollte zunächst ein breites Wissen über die Bildungs- und Betreuungssituation im Quartier erworben werden. Darauf aufbauend, sollen zusammen mit den Akteuren in Dialogveranstaltungen Strukturen zu einer besseren Zusammenarbeit der Einrichtungen untereinander erarbeitet werden.
Doch was hat das Markieren von Freizeitorten auf einer Karte mit dem Thema Bildung und Akteursnetzwerken zu tun?
Die Schlüsselkonzepte hierzu heißen formale, non-formale und informelle Bildung. Sie erweitern den Bildungsbegriff und gehen über das klassische Bildungsverständnis hinaus. Wissen und Fertigkeiten, die über die ausschließlich in der Schule vermittelten Inhalte hinausgehen, werden als weitergehende Arten des Lernens verstanden. Ziel und Zweck von Bildung wird innerhalb dieser Konzepte als über die bloße Vorbereitung auf einen Beruf hinausgehend begriffen. Auch das Erlernen eines sozialen Miteinanders oder das Entdecken eigener Potentiale wird ebenfalls als Gegenstand von Bildung verstanden.
Formale Bildung kommt einem weitläufig geteilten Bildungsverständnis wohl am nächsten. Sie umschließt vor allem Bildung, die auf die Vorbereitung auf einen Beruf ausgelegt ist. Bildungsinhalte sind innerhalb eines nationalen Referenzrahmens weitestgehend klar definiert. Sie werden in staatlich anerkannten Institutionen vermittelt, Abschlüsse und Lernniveaus sind hierarchisch gegliedert und werden somit miteinander vergleichbar gemacht.
Non-formales Lernen besitzt ebenfalls einen organisierten Charakter, wird aber nicht in offiziellen Bildungseinrichtungen vermittelt. Einrichtungen wie Sprach- und Volkshochschulen sind Träger dieser Art von Bildung. Bedingung dafür, dass es sich um non-formale Bildung handelt, ist die Bereitschaft der Lernenden, sich im Rahmen von organisierten Lernsituationen Wissen anzueignen. Anfang und Ende des Lernens sind klar definiert. Bildungsniveaus sind hingegen nicht klar abgestuft und miteinander vergleichbar, da eine Überprüfung des erworbenen Wissens nur selten stattfindet.
Eine zumeist selbstorganisierte und nicht formal strukturierte Form des Lernens stellt die informelle Bildung dar. Diese Form von Bildung basiert sowohl auf der Intention, sich Wissen anzueignen, als auch auf der Freiwilligkeit des Lernens. Eine Zertifizierung und damit auch die Überprüfung von Lerninhalten werden mit diesem Bildungsbegriff kaum in Verbindung gebracht. Hingegen werden oft Fähigkeiten (Soft-Skills) vermittelt. So zählen etwa soziale Kompetenzen, wie der faire Umgang miteinander, ebenso wie die Vermittlung von kulturellem Wissen, wie Kunst, Musik, Theater zu informeller Bildung. Lernziele sind dann nicht etwa das Erreichen eines bestimmten Niveaus beim Lesen, Schreiben oder Rechnen, sondern drücken sich in Form von Selbstbewusstsein und Reflexionsfähigkeit aus. Demensprechend sind die Ergebnisse von informeller Bildung kaum messbar und nur schwer miteinander ins Verhältnis zu setzen. Orte, an denen informelle Bildung vermittelt wird, können die Jugendsozialarbeit, Sportvereine, Freizeiteinrichtungen wie Kinos-, Spielplätze, Museen-, Schwimmbäder oder Musikgruppen sein.
Vor diesem Hintergrund gaben die Antworten der Schülerinnen und Schüler der Albert-Schweitzer-Schule Aufschluss darüber, welche Angebote an non-formaler- und informeller Bildung Jugendliche in räumlicher Nähe zu ihrer Schule wahrnehmen. Zudem wurden die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten nach der Einbeziehung dieser Angebote in den Schulunterricht befragt. Die Ergebnisse spiegelten eine große Bandbreite an Antworten wider. So wurden einige Orte im Quartier stark und über verschiedene Altersgruppen hinweg besucht, andere überhaupt nicht. Für einige bildete das Quartier einen starken Bezugsrahmen, andere verließen es unmittelbar nach dem Ende des Unterrichts. Das übergreifende Ergebnis war jedoch, dass die meisten Jugendlichen Bildungsangebote wahrnehmen, die über die Schule hinausgehen. Hieran kann mit einer besseren Koordination der verschiedenen Einrichtungen im Quartier angeknüpft und so sinnvolle Ergänzungen zum Schulunterricht gezielt an die Lernenden vermittelt werden.
Im Kontext des Projekts helfen die an diesem Tag erhobenen Antworten besser einzuordnen, welche Angebote an non-formaler und informeller Bildung durch die Schüler in räumlicher Nähe bisher wahrgenommen wurden. Zusammen mit Schulen, Jugendbetreuungseinrichtungen und der Verwaltung sollen hierauf aufbauend Strategien erarbeitet werden, um die Qualität des Bildungsangebots insgesamt zu verbessern. Zudem sollen Synergien geschaffen werden, die einen Mehraufwand für die Einrichtungen verringern sollen. Durch die abschließende Präsentation der Ergebnisse gegenüber der Senatsverwaltung sollen die Erkenntnisse bei der zukünftigen Gestaltung der Bildungslandschaft in Neukölln mit berücksichtigt werden.
Quellen: Europäische Kommission 2001: Ein europäischer Raum des lebenslangen Lernens, Amt für Amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg. S. 33, 35 Bilger, Frauke, Gnahs, Dieter, Hartmann, Josef, Kuper, Harm (Hg.) 2013: Weiterbildungsverhalten in Deutschland. Resultate