Anlässlich der Bundestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) stellte der Verband am 11. November 2019 seine aktuelle Schätzung der Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland vor. Die Schätzung beziehe sich auf das Jahr 2018 und sei damit auf dem aktuellsten Stand, so die BAG. Im Laufe des Jahres 2018 waren demnach ca. 678.000 Menschen (Jahresgesamtzahl) in Deutschland ohne Wohnung.
Werena Rosenke, Geschäftsführerin der BAG Wohnungslosenhilfe, erklärte dazu: "Gegenüber dem Vorjahr 2017 bedeutet dies einen Anstieg bei der Jahresgesamtzahl um 4,2 %. Dabei stieg die Zahl der wohnungslosen Menschen ohne Einbezug wohnungsloser anerkannter Geflüchteter mit 1,2 % weniger an als die Zahl der wohnungslosen anerkannten Geflüchteten mit 5,9 %."
Die Jahresgesamtzahl der wohnungslosen Menschen ohne Einbezug wohnungsloser anerkannter Geflüchteter lag bei gut 237.000. Die Zahl der wohnungslosen anerkannten Geflüchteten schätzt die BAG W auf ca. 441.000 Menschen. Seit dem Jahr 2016 schließt die BAG W in ihre Schätzung die Zahl der wohnungslosen anerkannten Geflüchteten ein.
Armut und Wohnungsnot
Nach Auffassung des BAG W sind die Hauptgründe für die steigende Zahl der Wohnungslosen das unzureichende Angebot an bezahlbarem Wohnraum, die Schrumpfung des Sozialwohnungsbestandes und die Verfestigung von Armut. Es fehle insbesondere an bezahlbarem Wohnraum für Menschen im Niedrigeinkommensbereich, für die Menschen, die Transferleistungen bezögen und für anerkannte Geflüchtete. Alleinerziehende und junge Erwachsene seien besonders vulnerable Personengruppen, aber auch die drohende Altersarmut, der Generation der Billigjobber und -jobberinnen, der Soloselbständigen und anderer prekär beschäftigten Menschen bereite der BAG W große Sorge. Der besonders großen Nachfragegruppe der Einpersonenhaushalte (17,3 Millionen) stand im Jahr 2018 nur ein Angebot von 5,4 Millionen Ein- bis Zweizimmerwohnungen gegenüber, so die BAG.
Verantwortung des Bundes für eine soziale Wohnungspolitik
Die BAG Wohnungslosenhilfe kritisiert, dass die Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau in 2020 und 2021 mit jeweils 1 Mrd. Euro niedriger angesetzt sind als in den Vorjahren.
Rosenke: "Benötigt werden pro Jahr 80.000 bis 100.000 neue Sozialwohnungen und weitere 100.000 bezahlbare Wohnungen. Die Bundesregierung hatte sich im Koalitionsvertrag das Ziel von 375.000 neuen Wohnungen pro Jahr gesetzt. Neu gebaut wurden im Jahr 2017 aber nur 285.000 Wohnungen, darunter lediglich 27.000 Sozialwohnungen. Damit wird nicht einmal der Teil der Wohnungen, der aus der Sozialbindung fällt, ausgeglichen."
Prävention verstärken
Nach Auffassung der BAG machen die aktuellen Wohnungslosenzahlen intensivere Anstrengungen zur Vermeidung von Wohnungsverlusten noch dringlicher. "Auch bei der Prävention hat der Bund Regelungskompetenz, die er unserer Meinung nach wahrnehmen muss: Bei der Mietschuldenübernahme im SGB II sollte wie im SGB XII eine Leistungsgewährung als Beihilfe vorgesehen werden", erklärte Rosenke. Darüber hinaus müsse durch den Gesetzgeber dringend klargestellt werden, dass bei einer Mietschuldenbefriedigung nicht nur die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses, sondern auch die ggf. hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung geheilt sei.
Karin Kühn, die Vorsitzende der BAG W. äußerte sich zur Rolle der Kommunen bei der Prävention von Wohnungslosigkeit. Es gehöre in jede Kommune und jeden Landkreis eine Fachstelle zur Verhinderung von Wohnungsverlusten, erklärte sie. "Die Kompetenzen zum schnellen Handeln bei gefährdeten Mietverhältnissen müssen an einer Stelle gebündelt und die Fachstelle muss für alle betroffenen Haushalte zuständig sein."
Um Wohnungslosigkeit erst gar nicht entstehen zu lassen, sollten die Unternehmen der Wohnungswirtschaft und insb. auch die privaten Kleinvermieter bei ersten Anzeichen eines gefährdeten Mietverhältnisses kompetente Ansprechpartner in der Kommune und bei den freien Trägern der Wohnungsnotfallhilfe finden, die dann frühzeitig intervenieren könnten, um den Wohnungsverlust abzuwenden. Eine frühzeitige aufsuchende Kontaktaufnahme zu dem betroffenen Haushalt böte die beste Chance, Wohnungslosigkeit zu verhindern.
Wohnungen für Wohnungslose – Appell an Kommunen
Die BAG W appelliert an die Kommunen, alle zur Verfügung stehenden Instrumente, Maßnahmen und Möglichkeiten auszuschöpfen, um wohnungslose Menschen mit eigenen Wohnungen zu versorgen. Machbar seien Bindungen und Quotierungen im Sozialwohnungsbestand für vordringlich Wohnungssuchende, so dass auch wohnungslose Menschen mit Wohnraum versorgt werden könnten. Aber auch die gezielte Akquirierung von Wohnungsbeständen bei privaten Vermietern und der Wohnungswirtschaft seien eine vordringliche Aufgabe. Sogenannte Gewährleistungsverträge zwischen Kommunen und Vermietern und andere positive Anreize seien bereits erfolgreich in der Praxis erprobt.
Zusätzliche Wohnungen für Wohnungslose ließen sich auch dadurch erschließen, dass die Richtwerte für die Kosten der Unterkunft (KdU) bei wohnungslosen Haushalten deutlich überschritten werden könnten. Quelle/Weitere Informationen: Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, Pressemitteilung vom 11. November 2019