Am 26. Juni 2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) zum einen entschieden, dass die nationalen Gerichte befugt sind, die Wahl der Standorte von Stationen zur Messung der Luftqualität zu überprüfen und gegenüber der betreffenden nationalen Behörde alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Zum anderen urteilte er, dass bei der Beurteilung, ob die Grenzwerte eingehalten werden, der Verschmutzungsgrad an jeder einzelnen Probenahmestelle zu berücksichtigen ist.
Im konkreten Fall streiten mehrere Einwohner der belgischen Region Brüssel-Hauptstadt sowie die Umweltorganisation ClientEarth mit der Region Brüssel-Hauptstadt und dem Brüsseler Institut für Umweltmanagement darüber, ob für das Gebiet von Brüssel ein ausreichender Luftqualitätsplan erstellt wurde. Das niederländischsprachige Gericht erster Instanz Brüssel ersuchte den EuGH in diesem Kontext um die Auslegung des einschlägigen Unionsrechts, insbesondere der Richtlinie über Luftqualität und saubere Luft für Europa 2008/50/EG (ABl. 2008, L 152, 1 in der Fassung der RL (EU) 2015/1480 - ABl. 2015, L 226, 4).
Es möchte erstens wissen, inwieweit die innerstaatlichen Gerichte die Wahl der Standorte von Probenahmestellen (Messstationen) überprüfen können, und zweitens, ob aus den Ergebnissen verschiedener Messstationen ein Mittelwert gebildet werden darf, um die Einhaltung der Grenzwerte zu beurteilen.
Der EuGH hat entschieden, dass die nationalen Gerichte befugt sind, die Wahl der Standorte von Stationen zur Messung der Luftqualität zu überprüfen und gegenüber der betreffenden nationalen Behörde alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Außerdem genügt es für die Feststellung, dass ein Grenzwert im Mittelungszeitraum eines Kalenderjahrs überschritten wurde, wenn an nur einer Probenahmestelle ein über diesem Wert liegender Verschmutzungsgrad gemessen wird.
Nach Auffassung des EuGH enthält die Richtlinie detaillierte Regelungen für die Einrichtung und die Standorte von Probenahmestellen zur Messung der Luftqualität in den Gebieten und Ballungsräumen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten. Einige dieser Regelungen sehen klare, präzise und nicht an Bedingungen geknüpfte Verpflichtungen vor, so dass sich Einzelpersonen gegenüber dem Staat auf sie berufen könnten. Dies gelte insbesondere für die Verpflichtung, Probenahmestellen so einzurichten, dass sie Informationen über die am stärksten belasteten Orte liefern, sowie die Verpflichtung, eine Mindestzahl von Probenahmestellen einzurichten. Es sei Sache der nationalen Gerichte, die Einhaltung dieser Verpflichtungen zu überprüfen.
Zwar verfügten die zuständigen nationalen Behörden bei der Festlegung der konkreten Standorte von Probenahmestellen über ein Ermessen, dieses Ermessen sei der gerichtlichen Kontrolle aber nicht entzogen.
Der Standort der Probenahmestellen bei dem System zur Beurteilung und Verbesserung der Luftqualität spiele eine entscheidende Rolle, insbesondere wenn der Verschmutzungsgrad eine bestimmte Schwelle überschreite. Daraus folge, dass der Zweck der Richtlinie gefährdet wäre, wenn Probenahmestellen, die sich in einem bestimmten Gebiet oder Ballungsraum befänden, nicht im Einklang mit den von ihr aufgestellten Kriterien eingerichtet würden. Daher müssten die zuständigen nationalen Behörden den Standort der Probenahmestellen so wählen, dass die Gefahr unbemerkter Überschreitungen von Grenzwerten minimiert werde. In diesem Rahmen seien sie verpflichtet, ihre Entscheidungen auf fundierte wissenschaftliche Daten zu stützen und eine vollständige Dokumentation zu erstellen, die die Gesichtspunkte für die Wahl des Standorts jeder Messstelle enthalte. Diese Dokumentation müsse regelmäßig aktualisiert werden, um sicherzustellen, dass die Auswahlkriterien weiterhin Gültigkeit haben.
Da der Einzelne das Recht hat, von einem Gericht überprüfen zu lassen, ob die nationalen Rechtsvorschriften und ihre Anwendung innerhalb des in der Richtlinie vorgesehenen Ermessensspielraums bei der Wahl des Standorts der Probenahmestellen geblieben seien, sei dieses Gericht überdies befugt, gegenüber der betreffenden nationalen Behörde alle erforderlichen Maßnahmen, wie beispielsweise Anordnungen, zu ergreifen, um sicherzustellen, dass diese Stellen nach den in der Richtlinie festgelegten Kriterien eingerichtet werden.
Zu der Frage, ob zur Beurteilung der Einhaltung der Grenzwerte ein Mittelwert aus den Ergebnissen verschiedener Messstellen gebildet werden könne, sei auszuführen, dass die Bestimmung des Mittelwerts der Messergebnisse aller Probenahmestellen in einem Gebiet oder Ballungsraum keinen zweckdienlichen Hinweis auf die Schadstoffexposition der Bevölkerung liefere. Insbesondere erlaube es ein solcher Mittelwert nicht, die Höhe der Exposition der Bevölkerung allgemein zu bestimmen. Sie werde nämlich mittels spezieller Probenahmestellen gemessen, deren Standort an diesem Zweck ausgerichtet wurde.
Bei der Beurteilung, ob die Mitgliedstaaten die Grenzwerte eingehalten haben, sei der an jeder einzelnen Probenahmestelle gemessene Verschmutzungsgrad entscheidend. Für die Feststellung, dass ein Grenzwert im Mittelungszeitraum eines Kalenderjahrs überschritten wurde, genüge es daher, wenn an nur einer Probenahmestelle ein über diesem Wert liegender Verschmutzungsgrad gemessen werde. Quelle/Weitere Informationen: Europäischer Gerichtshof, Pressemitteilung Nr. 82/2019 vom 26. Juni 2019