Wechselt ein Einrichtungsträger zur Deckung des Herstellungsaufwands von einer Beitragsfinanzierung auf eine reine Gebührenfinanzierung mit unterschiedlichen Gebühren für Beitragszahler und -nichtzahler ("gespaltene" Gebührensätze), darf ein Herstellungsaufwand, für den hypothetische Festsetzungsverjährung eingetreten ist, aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht über Benutzungsgebühren gedeckt werden. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) am 17. Oktober 2023 entschieden. Am 17. Januar 2024 veröffentlichte das BVerwG das Urteil mit ausführlicher Entscheidungsbegründung (Az.: BVerwG 9 CN 3.2223).
Der Antragsteller, Eigentümer eines selbst genutzten Wohngrundstücks und zweier mit vermieteten Mehrfamilienhäusern bebauter Grundstücke, wendet sich mit seinem Normenkontrollantrag gegen die Schmutzwassergebührensatzung des Antragsgegners. Der Antragsgegner erhob zunächst zur Deckung des Aufwands für die Herstellung der öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungsanlage Anschlussbeiträge. Mit Beschluss vom 12. November 2015 (1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14) entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Erhebung von Anschlussbeiträgen in Fällen, in denen solche Beiträge nach der früheren Rechtslage in Brandenburg wegen hypothetischer Festsetzungsverjährung nicht mehr erhoben werden konnten, gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstößt. Daraufhin hob der Antragsgegner noch nicht bestandskräftige Anschlussbeitragsbescheide auf und zahlte die entrichteten Beiträge – u. a. auch an den Antragsteller - zurück. Außerdem änderte er seine Schmutzwassergebührensatzung und führte "gespaltene" Gebührensätze ein. Diese betrugen 2017 und 2018 für Grundstücke, für die Anschlussbeiträge gezahlt worden waren, 3,30 €/m3 Schmutzwasser und für Grundstücke, für die keine Anschlussbeiträge gezahlt worden waren, 4,35 €/m3 Schmutzwasser. Das Oberverwaltungsgericht lehnte den Normenkontrollantrag ab (OVG Berlin-Brandenburg, OVG 9 A 2.17, Beschluss vom 14. Juni 2022). Es vertrat die Ansicht, der Schutz des Vertrauens, nicht mehr zu Anschlussbeiträgen herangezogen zu werden, erstrecke sich nicht auf Benutzungsgebühren.
Das Bundesverwaltungsgericht ist dem nicht gefolgt. Es hat den angefochtenen Beschluss aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung führt es aus: "Das Grundgesetz schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechtspositionen. Geschützt ist auch das Vertrauen, nach Eintritt der hypothetischen Festsetzungsverjährung nicht mehr zu einem Herstellungsbeitrag herangezogen zu werden. Nach brandenburgischem Landesrecht darf ein und derselbe Herstellungsaufwand nicht durch Anschlussbeiträge und zusätzlich über Benutzungsgebühren auf die Grundstückseigentümer umgelegt werden. Wechselt der Einrichtungsträger sein Satzungsrecht und geht zu einer reinen Gebührenfinanzierung mit "gespaltenen" Gebührensätzen über, können die von der Festsetzungsverjährung Begünstigten darauf vertrauen, auch über Benutzungsgebühren nicht mehr zur Deckung des beitragsfinanzierten Herstellungsaufwands herangezogen zu werden. Dem steht das Haushaltsinteresse des Einrichtungsträgers nicht entgegen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte nicht in der Sache selbst entscheiden, weil es noch an Feststellungen im Zusammenhang mit der hypothetischen Festsetzungsverjährung fehlte."
Quelle/Weitere Informationen: Bundesverwaltungsgericht, Pressemitteilung vom 17. Oktober 2023 / BVerwG Vefahrensdokumente Stand: 17. Januar 2024