Die drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines erst nach der Ausreise aus dem Verfolgerstaat geborenen Kindes, dem in Deutschland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 26 AsylG. Das gilt auch dann, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft der Eltern oder auch die gesamte Familie mit Ausnahme des Stammberechtigten bereits im Verfolgerstaat bestanden hat. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 15. November 2023 entschieden (BVerwG Az: 1 C 7.22).
Die Kläger (Eltern und zwei Söhne) sind somalische Staatsangehörige und 2012 nach Deutschland eingereist. Ihre Asylanträge wurden unanfechtbar abgelehnt. Nachdem einer 2013 in Deutschland geborenen Tochter bzw. Schwester der Kläger die Flüchtlingseigenschaft wegen drohender Genitalverstümmelung zuerkannt worden war, stellten sie Folgeanträge. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte die Anträge als unzulässig ab, weil keine Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vorlägen. Die Anerkennung der Tochter bzw. Schwester begründe für die Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der abgeleiteten Flüchtlingseigenschaft als Familienangehörige nach § 26 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 AsylG, weil die Familie nicht schon im Verfolgerstaat bestanden habe. Klage und Berufung haben keinen Erfolg gehabt. Das Oberverwaltungsgericht war ebenfalls der Auffassung, die Kläger könnten von der in Deutschland geborenen Tochter einen Familienflüchtlingsschutz nicht ableiten, weil dem § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 AsylG entgegenstehe. Danach setzt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als Familienangehörige bei Eltern und Geschwistern voraus, dass die Familie im Sinne des Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird. Dies könne nur der Fall sein, wenn das stammberechtigte Kind bereits im Verfolgerstaat geboren sei. Es reiche nicht aus, dass das Kind in Deutschland in eine Familie hineingeboren werde, die bereits im Verfolgerstaat bestanden habe.
Das Bundesverwaltungsgerichts hat die Revision der Kläger zurückgewiesen und führt zur Begründung aus: „Die Asylfolgeanträge sind zu Recht als unzulässig abgelehnt worden, weil sich die Sach- oder Rechtslage nicht zu Gunsten der Kläger geändert hat. Die Anerkennung der in Deutschland geborenen Tochter als Flüchtling begründet für ihre Eltern und Geschwister keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil die Familie nicht schon im Herkunfts- bzw. Verfolgerstaat bestanden hat. Diese Voraussetzung ergibt sich nicht nur aus § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG. Auch die unionsrechtliche Regelung über die Wahrung des Familienverbands in Art. 2 Buchst. J i.V.m. Art. 23 Abs. 2 RL 2011/95/EU, die der deutsche Gesetzgeber mit § 26 AsylG (überschießend) umgesetzt hat und auf die er darin ausdrücklich verweist, bezieht Familienangehörige nur insoweit ein, als die Familie bereits im Herkunftsstaat bestanden hat. Der dort jeweils verwendete Familienbegriff bezieht sich nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der Regelung gerade auf das familiäre Verhältnis zwischen dem Stammberechtigten und dem Familienangehörigen, der den abgeleiteten Schutzstatus bzw. die Wahrung des Familienverbands begehrt. Danach scheidet ein Familienschutz für Eltern und Geschwister von vornherein aus, wenn das stammberechtigte Kind erst in Deutschland geboren wurde. Dem steht auch nicht entgegen, dass minderjährige Kinder eines Schutzberechtigten den abgeleiteten Schutz erhalten können, wenn die familiäre Beziehung erst in Deutschland entstanden ist, weil § 26 Abs. 2 AsylG insoweit nicht verlangt, dass die Familie bereits im Verfolgerstaat bestanden haben muss. Hierbei handelt es sich um eine über die Vorgaben des Unionsrechts hinausgehende bewusste Privilegierung, für die hinreichende sachliche Gründe bestehen.“
Quelle/Weitere Informationen: Bundesverwaltungsgericht, Pressemitteilung vom 15. November 2023