Dr. Peter Kurz, Oberbürgermeister der Stadt Mannheim: Die Einbindung der Intermediären ist dabei erst der Anfang.
Lassen Sie mich eine Leitfrage für die Zukunft formulieren: Können Intermediäre die repräsentative Demokratie stärken?
Tatsächlich stellt sich die Frage, in wie weit die zusätzliche, ergänzende Einbindung von Intermediären in Verfahren der Bürgerbeteiligung eine Reaktion darauf ist, dass die repräsentativen demokratischen Organe immer mehr an Repräsentativität verlieren. Meines Erachtens ist das der Fall! Und ich spitze es noch weiter zu und sage, dass wir einen Punkt erreicht haben, an dem die Rückläufigkeit von Repräsentativitäten nicht nur für Beteiligungsverfahren gilt, sondern auch für die Wahlen an sich. Beitrag Dr. Peter Kurz, Oberbürgermeister der Stadt Mannheim
Jürgen Wiebicke, Moderator: Bist du eigentlich ein Intermediärer?
Ich muss erst mal sagen, ich bin hierhin gefahren und hab gedacht, ich bin der einzige im Saal der den Begriff Intermediäre vorher noch gar nicht gehört hat. Und ich merke jetzt, wie anscheinend etabliert er schon ist. Und irgendwann hat sich bei mir das Gefühl eingestellt: Man, du bist ja selbst der Vogel, über den der Ornithologe hier berichtet.
Stephan Reiß-Schmidt, München: Stadtentwickler sind sozusagen die Ur-Intermediären innerhalb der Stadtverwaltung.
Ich würde jetzt erst mal die qua Amt Intermediären zufügen, nämlich die Stadtentwickler, die ja quasi Exoten in einer Stadtverwaltung sind, die auf Normsetzung und Normvollzug ausgerichtet ist. Stadtentwickler machen keine Norm und vollziehen sie auch nicht, sondern sie versuchen, genau solche diskursiven Prozesse und die Integration von den undurchschaubaren fachlichen Zuständigkeiten zu leisten. Die sind sozusagen die Ur-Intermediären innerhalb der Stadtverwaltung.
Inga Wellmann, Referat für Kunst und Kreativwirtschaft, Hamburg: Die Kultur des Intermediären.
Was ich gerade positiv konstatiere, auch mit Blick auf das Potenzial dieser ganzen Debatte, ist die Kultur des Intermediären, die sich eben auch in diese Systeme hineinträgt, wie die öffentliche Verwaltung oder die vielleicht schon etwas eingeschlafenen Verbandsstrukturen oder andere Formen von Organisationen. Ich glaube, dass die große Chance darin liegt, Formate zu kreieren oder Räume zu schaffen, die genau diese interdisziplinäre, vielfältige Form der Auseinandersetzung schaffen, ob es jetzt Urban-Living-Labs sind oder Future-Center in Skandinavien oder Holland oder ob es ganz banale Workshop-Situationen sind, die aber mit ganz anderer Technik arbeiten, ob Design-Thinking oder Service-Design, also die einfach mal das klassische Vorgehen einer Lösungsorientierung aufbrechen und was Neues zulassen.
Sebastian Beck, vhw, & einer der Debattenbuchautoren: Das ist ganz sicher ein Lernprozess, wo Kommunen lernen müssen, mit Intermediären umzugehen. Wo Intermediäre lernen müssen, sich in diese Prozesse einzubinden. Und auch Bürgerinnen und Bürger müssen sich daran gewöhnen, dass da irgendwelche Bürgerexperten kommen.
Stephan Reiß-Schmidt, München: Wir müssen Foren schaffen, auf denen Intermediäre sich austauschen können – von den Traditionellen bis zu Neo- und Para-Intermediären – und mit ihren Ideen und Projekten zur Zukunft der Stadt auf den öffentlichen Markt gehen können. Das sind normalerweise dann Stadtentwicklungsprozesse mit Veranstaltungen über Ziele, Zukunftsvisionen, Projekte oder konkrete Vorschläge: „Wie soll die Zukunft unserer Stadt gestaltet werden?“. Dem muss sich Verwaltung und Stadtpolitik aussetzen – nicht zuletzt auch untereinander selbst.
Prof. Dr. Jens S. Dangschat, Wien: Ein Bekenntnis zu den Intermediären? Ja, selbstverständlich.
Wenn man als Sozialwissenschaftler bei den Raumplanern arbeitet, dann kann man den Elfenbeinturm vergessen!
Und zu dem ursprünglich bunten Vogel, der ja Grpndne des Diversity-Managaments eingekauft wird. In so einer Situation war ich gestern: In einem Learning-Lab, wo der Vize-Bürger und der für das Stadtmarketing zuständige Verwaltungsleiter unter meiner Leitung Lernschritte machen sollten. Das ist dann ein Imagespiel. Wir als Stadt bringen da was Neues und dann klappt das – in der Hoffnung, dass dann ein bisschen von dem Image des Bunten und Neuen an der Verwaltung hängen bleibt, damit man dann damit werben kann, wie innovativ man gewesen ist.
Ich als Intermediärer hab dann gewonnen, wenn die Entscheidungsträger möglichst viel von dem Aufnehmen, was ich glaube, was gut und richtig ist.
Meine Rolle als Intermediärer ist, einfach Wissenschaft ganz anders zu transportieren, eben Kommunikation! Kommunikation ist jedenfalls das Schlüsselwort. Auch bei den Intermediären. In der Wirklichkeit ist die Frage: Wie kommunizieren sie?
Dr. Peter Kurz, Oberbürgermeister der Stadt Mannheim: Wie finden wir eigentlich Bündnispartner für's "Vertrauen bilden"?
Wir befassen uns deswegen damit, nämlich mit der Fragestellung, wie können wir die Verluste – also ich erlebe es als Verluste – in Vertrauensbildung und Zutrauen, wie können wir die potenziell ausgleichen? Wie finden wir eigentlich Bündnispartner fürs "Vertrauen bilden"? Weil wir bei den Traditionellen nicht mehr genügend Partner haben! Das ist eigentlich die Ausgangssituation.
Sebastian Beck, vhw: Intermediäre haben eine legitime Stimme,
um für eine ganz bestimmte Interessensgruppe ins Feld zu gehen – wobei offensichtlich das Vertrauen in Initiativen und Vereine extrem hoch ist, wenn man sich die Landschaft von politischen Akteuren anschaut. Das ist auch das, was wir als vhw in den letzten Umfragen in diesem Jahr gesehen haben.
Dr. Peter Kurz, Oberbürgermeister der Stadt Mannheim: Die Neo-Intermediären sind diejenigen, mit denen ich im Augenblick am meisten anfangen kann,
weil man mit denen Prozesse in der Stadtgesellschaft positiv platzieren kann, positiv konnotiert. Macher, die dabei sind, et cetera.
Ich sag´s mal konkret an einem Beispiel: Wir haben einen Künstler, der selbst sozusagen ein Intermediärer ist, weil er andere Künstler in einem hohen Maß organisiert. Der gestaltet für uns faktisch Konversionsprozesse mit: Dadurch, dass er diese Gelände in dem Übergang, bis etwas Neues geschieht, bespielt, bis hin zur historischen In-Wert-Setzung, also das, was dort war, aufbereitet und ein bisschen uns die Entsorgung erleichtert, indem er sozusagen alles, was nutzbar ist, schon mal rausholt aus Gebäuden, die später abgerissen werden. Also das ist ein unmittelbares Tun und gleichzeitig nochmal ein außerordentlich positiver Akteur im Sinne von "es geht was in dieser Stadt" und "es ist positiv" und "ich motiviere weiter Leute damit".
Prof. Dr. Jens S. Dangschat, Wien: Wir haben – so meine ich – eine Gruppe, die kann man dann nicht mehr Intermediäre nennen kann, weil die gar nicht irgendwo dazwischen sein wollen. Die wollen einfach machen und tun, was sie für richtig halten. Die wollen überhaupt nicht von uns gebeten werden, intermediär zu sein. Man sieht sie manchmal als Macher, dann machen sie aber vor sich hin. Und ob wir das nun noch Intermediäre nennen können oder nicht, ist dann die Frage.
Ute Kumpf, ehem. MdB, Wildau: Die Absicherung einer neuen Elite?
Man könnte natürlich aber auch so diskutieren, dass Neo-Intermediäre zum Teil auch überhöht werden. Es ist auch so eine Absicherung von einer neuen Elite.
Prof. Dr. Jens S. Dangschat, Wien: Mein Plädoyer ist, zunächst einmal ein Gefühl dafür zu entwickeln, was da alles umeinander läuft, was da alles ist.
Und Neo kann jemand sein mit 80, warum nicht? Ja? Aber neue Wege zu finden, alternative Wege zu finden, Probleme anders anzugehen, anders zu lösen, sich anders zu vernetzen, andere Leute mit ins Boot zu holen, mit denen man vorher überhaupt nicht gerechnet hat, darum geht es doch. Neue Formen kultureller Fähigkeiten, Probleme anders anzugehen als wir es bis jetzt gewohnt sind, und erst recht nicht in Hierarchien.
Und was ich spannend finde: Das meiste von dieser Web 2.0-Kommunikation erfährt die Verwaltung nie. Und das versteht sie auch nicht mehr. Also: Was passiert in den neuen Möglichkeiten tatsächlich? Gehen sie auf die Maker-Messen in den USA! Da finden sie Unternehmen wie Walt Disney und NASA, weil die interessiert sind an der kreativen Kraft dieser Leute. Das ist teilweise noch alles außerhalb unserer Reichweite. Deswegen stelle ich teilweise Blogger als Mitarbeiter ein. Denn: Da entsteht eine neue Form von Öffentlichkeit, die wir gar nicht auf dem Schirm haben. Die sagen: Wir machen uns unsere Stadtforschung selbst! Das ist wichtig zu wissen. Auch wenn die nicht intermediär sind, um überhaupt zu begreifen: Was passiert in der Kommunikation der Stadtgesellschaft? Das sind eben teilweise genau die Mentalitäten, die kulturellen Qualitäten, die in Zukunft ökonomisch und kulturell noch viel bedeutsamer werden.
Frauke Burgdorff, Montag Stiftung Urbane Räume, Bonn: Aber das Quartier wird doch immer noch auf dem Platz undnicht ausschließlich im Web gemacht.
Und auf diesem Platz haben wir heute zwei wichtige Spielmacher übersehen. Einen hat der Herr Kurz schon erwähnt, das sind die Migrantenselbstorganisationen und das andere sind die traditionellen Bürgervereine. Ich glaube, in diesen beiden intermediären Gemeinschaften - den traditionell heimatverbundenen und den herkunftsgeprägten - steckt ein großes Stück Energie, die wir nur über konkrete Begegnung heben und nicht übersehen dürfen. Vor lauter Web 2.0!
Birte Wichmann, Referat des Dezernenten für Soziales, Gesundheit, Wohne und Sport, Kiel: Viele, die sonst unterschiedliche Ziele verfolgten, sitzen jetzt an einem Tisch. Und das funktioniert deshalb, weil wir dort Regeln haben.
Ich finde dieses Thema, was wir heute besprechen, das passt sehr gut wegen des Flüchtlingsthemas. Alles das, was wir hier besprechen und selbst auch erleben, haben wir als Landeshauptstadt Kiel ja auch in der Koordination der Flüchtlingsarbeit. Viele, die sonst große Probleme miteinander hatten, sitzen jetzt zusammen an einem Tisch. Und das funktioniert deshalb, weil wir dort eben Regeln besprochen haben, weil wir die Aufgaben klar verteilt haben. Also, ich glaube das ist wichtig.
Inga Wellmann, Referat für Kunst und Kreativwirtschaft, Hamburg: Ein Arbeiten auf Augenhöhe ermöglichen!
Das heißt, dass man bestimmte Regeln miteinander schafft, die ein Arbeiten auf Augenhöhe ermöglichen. Und ich glaube, diese Augenhöhe ist extrem relevant.
Dr. Peter Kurz, Oberbürgermeisetr der Stadt Mannheim: Die Grundveranstaltung ist ja Qualität und Legitimation oder Akzeptanz zu stärken!
Warum machen wir das alles? Wir wollen Partizipation erhöhen, insgesamt, an stadtplanerischen Prozessen, um Qualität und Legitimation oder Akzeptanz zu stärken. Das ist der Grundgedanke!
Stephan Reiß-Schmidt, Referat für Stadtplanung und Bauordnung, München: Wir merken, dass die Frage "Wie erreichen wir die, die keine Stimme haben?", die vielleicht auch niemanden haben, der Anwalt für ihre Interessen ist, bis auf die gesamtstädtische Ebene durchdringt.
Diese Feststellung führt dazu, dass wir in Städten, ich sag mal ab 100.000 Einwohnern, mindestens ab da aufwärts, sehr viel stärker das tun müssen, was gesagt wurde: Wir müssen dorthin gehen, wo die Menschen leben. Gerade die, von denen wir das Gefühl haben, von denen hören wir schon lange nichts mehr.
Inga Wellmann, Referat Kunst und Kreativwirtschaft, Hamburg: Ich erlebe, dass gerade jüngere Leute allein schon durch ihre Ausbildung eine andere Form von Befähigung erlangen, in die Quartiere reinzugehen, wo genau mit diesen Stummen gearbeitet wird.
Wenn man einmal genauer hinschaut, wie viele Leute es gibt, die diesen Link herstellen zu denjenigen, die keine Stimmen haben oder die man vermeintlich noch nicht zu hören glaubt: Ich erlebe zum Beispiel in der Ausbildung, dass gerade jetzt jüngere Leute, die sich für das Thema Stadtentwicklung oder Urban Design interessieren, die an der Hafen-City-Universität studieren, Kultur der Metropole oder dergleichen mehr, allein schon durch ihre Ausbildung eine andere Form von Befähigung erlangen, anders an diese ganzen Themen heranzugehen. Nicht über ganz fachliche Gebiete sich da ran zu arbeiten, sondern in die Quartiere zum Beispiel reinzugehen und eine Universität der Nachbarschaft zu gründen, in der genau diese Stummen, in der genau mit Leuten gesprochen oder gearbeitet wird, die sonst nicht auftreten, die wir sonst gar nicht zu Gesicht bekommen, aus Sicht der Verwaltung.
Stephan Reiß-Schmidt, Referat für Stadtplanung und Bauordnung, München: Wir müssen quartiersbezogene Ansätze machen, wie wir es im Rahmen der Stadterneuerung gelernt haben oder bei dem Programm Soziale Stadt, das es glücklicherweise ja wieder gibt. Aber das braucht Personal, das braucht Ressourcen. Und unser Problem in den Städten ist ja, dass die Ressourcen dieser Art – jetzt nicht nur unter dem Aspekt einer Sozialverwaltung – sondern wirklich unter Stadtentwicklungsaspekt, unter baulichem Aspekt, unter kulturellen Aspekten: Bei der angesetzten Basisarbeit ist dafür das Personal in vielen Städten in den letzten Jahren abhanden gekommen, im Zuge der Haushaltskonsolidierungen und der Einsparungen. Und das können auch Intermediäre nicht ersetzen. Das heißt, wenn wir das wirklich ernst meinen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die Kommunen in diesen Bereichen durch solche "Embedded Actionists" wie Sie, Frau Wellmann, aber auch in den Bereichen, die sich professionell mit Fragen der Stadtentwicklung, der sozialen, der kulturellen Integration beschäftigen, auch ausgestattet sind.
Inga Wellmann, Referat für Kunst und Kreativwirtschaft, Hamburg: Was wir lernen müssen ist, mit Komplexität umzugehen, quasi eine Form von Surfen zu lernen, auf sehr, sehr wackligem Untergrund und genau diese Potenziale zu finden und diese Ressourcen zu aktivieren, die in so einer Stadt liegen:
Und ich merke, dass da die große Chance liegt, in dieser etwas jüngeren Generation oder vielleicht auch per se schon Generation, die eher lernt, mit Komplexität umzugehen, weil sie genau weiß, wir haben keine Sicherheit, also wir wissen nicht, wie die Stadt in zehn Jahren aussieht. Was wir lernen müssen ist, mit Komplexität umzugehen, quasi eine Form von Surfen zu lernen, auf sehr sehr wackligem Untergrund und genau diese Potenziale zu finden und diese Ressourcen zu aktivieren, die in so einer Stadt liegen.
Stephan Reiß-Schmidt, Referat für Stadtplanung udn Bauordnung, München: Also eine gute Diskussion zeichnet sich ja dadurch aus, dass am Ende mehr, aber bessere Fragen bestehen als vorher!
Prof. Dr. Jürgen Aring, vhw-Vorstand: Schlussworte
Herr Wiebicke, was sagen Sie normalerweise zum Schluss des philosophischen Radios immer: "Grübeln Sie nicht zu viel!". Genauso geht's mir heute. Es war unwahrscheinlich anregend, wir haben viel mitbekommen. Aber es ist für mich jetzt auch unsortiert, es ist ganz viel dazugekommen, wir werden damit umgehen und arbeiten.
Natürlich machen wir irgendwo jetzt eine Tiefenbohrung. Wir haben ja jahrelang dieses Thema der Deliberation sehr stark in den Vordergrund gestellt. Und jetzt stellen wir fest, dass die deliberativen Dialoge auch nicht die Antwort auf alles sind. Müssen wir diesen ganzen Umbauprozess, diese Neuformation von lokaler Demokratie und Entscheidungsfindung immer wieder als Gesamtes in den Blick nehmen?
Wir haben mit der heutigen Veranstaltung und diesem Debattenbuch ein stückweit den Blick geweitet. Das heißt nicht, dass wir jetzt von dem einen Thema auf das andere Thema kommen und jetzt an diesem Thema unendlich weit in die Tiefe bohren. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, die Debatte immer wieder auf die Gesamtfrage der Veränderung der Formation von lokaler Demokratie oder lokaler Entscheidungsfindung zurückzubinden.